Rückkehr. Voller Energie, gutgelaunt ein sprühendes Leuchten in den Augen. Kaum vorstellbar, dass es mal etwas gab, dass die ansteckende Lebensfreude von Tina Bürg (54) fast zum Ersticken gebracht hätte. „Wenn ich mir heute meine Mutter ansehe und mit meinen Erinnerungen an die Zeit vor zwei Jahren abgleiche, sind das zwei andere Menschen“, sagt Sohn Fabio am Ende des Gesprächs. „Eigentlich beängstigend, wieviel Lebendigkeit chronischer Schmerz rauben kann – umso beeindruckender, wenn die Beschwerden verschwinden und die vertraute Person zurückkehrt.“
Unfall. 15 lange Jahre frass sich die Arthrose in das rechte Knie von Tina Bürg. „Wahrscheinlich hat meine leichte O-Bein-Haltung den Gelenkverschleiß begünstigt“, berichtet die Frau, die in Oberkirch (nahe Offenburg) im Malergeschäft ihres Mannes das Büro leitet. „Zum Ausbruch kam die Erkrankung nach einer Meniskus-Verletzung im Jahr 2002. Ich war mit Sohn Fabio und Tochter Nina im Freizeitpark, verletzte mich ausgerechnet bei der letzten Fahrt in der Achterbahn.“
Tabletten. Als nach einer Woche das Gelenk noch dick war, ging Tina Bürg zum Arzt. „Dort wurde punktiert und Wasser abgezogen. Doch nach wenigen Tagen kehrte die Schwellung zurück. Ein halbes Jahr später wurde ich operiert, der abgerissene Innenmeniskus entfernt. Danach wurde es zwar ein bisschen besser. Doch richtig gut wurde es nie mehr – ohne Schmerztabletten ging ich seitdem fast keinen Schritt mehr.“
Empfehlung. 2007 wandte sie sich erstmals an die Orthopädische Klinik in Gengenbach. „Eine Bekannte hat mir den neuen Chefarzt Schweigert empfohlen, als ich mal wieder umher humpelte. Er erklärte mir, dass ich mit 44 zu jung für eine Knieprothese wäre. Aufgrund der begrenzten Haltbarkeit des Kunstgelenks müsste ich mit mindestens zwei weiteren Wechsel-Eingriffen im Laufe des Lebens rechnen – mit immer schlechter werdenden Ergebnissen. Um Zeit zu gewinnen, schlug er mir erstmal eine Umstellungs-OP vor.“
Zeitgewinn. Nach dem Eingriff, bei dem die O-Beinstellung per Umstellung der Oberschenkelrolle begradigt wurde, hatte die eigentlich so unternehmslustige Frau Ruhe vor den ganz, großen Schmerzen. „Durch die OP wurde die Belastung auf die weniger abgenutzen Knorpelflächen im Gelenk verteilt. Geheilt war ich allerdings nicht. Das wird nicht ewig halten, verabschiedet mich Dr. Schweigert. Kommen Sie wieder, wenn es nicht mehr geht.“
Rückzug. Oktober 2014 – nach sieben Jahren und einem Monat – kehren der Schmerz, die Schwellung und die Wärme ins Gelenk zurück. Ibuprofen 800 wird zu Tinas ständigen Begleiter. „Zwei weitere Jahre biss ich die Zähne zusammen. Doch die Pein im Bein wurde auch zu einem psychischen Problem. Ich zog mich zurück, hatte zu nichts mehr Lust – selbst meinen geliebten Nebenjob im Friseurgeschäft Bubikopf Zusenhofen wollte ich fast aufgeben. Ich wurde regelrecht depressiv – da wusste ich, dass es Zeit für den Knie-Ersatz ist.“
Innovation. Das tapfere Aushalten bis vor einem Jahr wird belohnt: bei der Voruntersuchung per Routine-Fragebogen gibt Tina Bürg auch an, dass sie allergisch auf Modeschmuck reagiert. „Es ist wissenschaftlich noch nicht endgültig bewiesen“, erklärt der renommierte Operateur. „Ich selbst aber habe Fälle erlebt, bei denen die Überreaktion des körpereigene Immunsystem auf den Metallabrieb der Prothese zu Problemen geführt hat. Das beginnt mit Schmerzen bei unauffälligen Laborwerten; kann in letzter Konsequenz bis zum vorzeitigen Ausbau des Ersatzgelenks führen. Für Risiko-Patienten wie Sie bieten wir deshalb seit kurzem eine Keramik-Schicht Prothese an!“
Stabil. Das Besondere ist der Aufbau der Gleitflächen: Hinter der ersten, harten Keramikoberfläche folgen fünf weitere Übergangs- und eine Trägerschicht. Erst dahinter kommt Metall. Dadurch liegt der Metallionen-Austritt nahe der Messbarkeitsgrenze. „Die siebenlagige Beschichtung ist so aufgebaut, dass der Härtegrad der Schichten von außen nach innen abnimmt. Das verleiht der Gelenkoberfläche eine gewisse Elastizität, reduziert die Gefahr, dass die Beschichtung abplatzt“, erläutert Dr. Schweigert seiner Patientin die Vorteile.
Eingriff. Am zweiten November 2016 ist es soweit. Tina Bürg wird für zwölf Tag in dem Ortenauklinikum in Gengenbach aufgenommen. „Zuvor hatte ich per Eigenblutspende mein Blut für den Eingriff in der Klinik deponiert“, erzählt sie. „Die OP selbst war reine Routine. Nach knapp zwei Stunden erwachte ich wieder aus der Narkose!“
Mobilisierung. Die Mobilisierung beginnt umgehend am nächsten Tag. „Dank lokaler Schmerzmittel, die während der OP gespritzt werden, sind die Patienten nahezu beschwerdefrei“, sagt Dr. Schweigert. „Außerdem operieren wir nur mit verkürzter Blutsperre. Das führt ebenfalls dazu, dass die Patienten weniger Beschwerden haben und schneller aufstehen können.“
Reha. Knapp zwei Wochen später geht es übergangslos weiter in die Reha. Da das Bein bereits gut verheilt ist, kann sie im Wasser die Muskulatur schnell aufbauen. „Kurz vor Halbzeit stellte ich erstmals fest, dass ich mich spürbar besser bewegen konnte als vor dem Eingriff“, strahlt sie. „Als ich nach Hause kam, begann ein völlig neues Leben für mich: nicht nur ohne Schmerzmittel und Schmerzen, sondern auch mit viel mehr Aktivität. Ich gehe wieder aus, arbeite im Garten, bin mit den Hunden und dem Fahrrad unterwegs. Sogar meine Wohlfühlposition im Bubikopf habe ich behalten. Und zum Hochzeitstag haben mein Mann und ich uns ein Wohnmobil geschenkt. Damit machen wir in Zukunft ganz Europa unsicher…“
Vier Fragen an Experten Dr. Bruno Schweigert (61)
Experten schätzen, dass etwa jeder fünfte Patient nach einer Knieprothesenoperation nicht zufrieden ist – warum? Hauptursachen sind Schmerzen, Infektionen und eine vorzeitige Lockerung der Prothese. Diese Gründe können dazu führen, dass die Prothese vorzeitig entfernt werden muss und dass die übliche Standzeit von 20 Jahren nicht erreicht wird. Was auffällt: 60 Prozent der Prothesenträger mit Problemen reagieren im Test auf Metallionen. Das könnte Hinweis darauf sein, dass der Körper mit dem Abrieb der Prothese nicht zurecht kommt. Ein Grund könnte die Vorsensibilisierung durch eine Nickelallergie sein.
Was ist das besondere an der neuen Prothese? Schon früher wurden die Gleitflächen mit Keramik überzogen. Doch diese harte Beschichtung auf weichem Metall führte oftmals zum Abplatzen des Materials – ähnlich dem Abspringen der harten Schale beim gekochten Ei. Das neue Implantat ist in sieben Schichten aufgebaut, bei dem die Härte von außen nach innen abnimmt. Dadurch wird die Gefahr des Abplatzen reduziert.
Für wen kommt die neue Prothese in Fragen? Grundsätzlich fragen wir inzwischen alle unsere Patienten danach, ob eine Nickelallergie besteht und bieten den Betroffenen das neue Implantat an. Generell kann die Prothese aber auch im Rahmen einer vorzeitigen Revision verwendet werden, bei der der Verdacht besteht, dass der Abrieb eine Sensibiliserung des Körpers ausgelöst hat
Was kostet die neue Prothese? Die Mehrkosten geben wir an unsere Patienten nicht weiter. Die Behandlung in unserer Klinik wird ganz normal von jeder Krankenkasse übernommen.
Hintergrund Nickelallergie
Nickel ist ein hartes, silberweißes Metall, das sich in der Erdkruste befindet. Seit seiner Entdeckung in 1751 ist es aus den industriellen Produktionsprozessen kaum noch wegzudenken. Es ist kostengünstig und dank seiner Dehnbarkeit gut zu verarbeiten.
Laut dem Europäischen Zentrum für Allergie-Erforschung (ECARF) in Berlin ist Nickel das häufigste Kontaktallergen weltweit. Über sechs Millionen Menschen leiden hierzulande darunter, dass die Haut brennt, juckt und schuppt, sobald sie mit dem Metall in Kontakt kommen. Besonders gemein: Die Ein- und Zwei-Euromünzen lösen etwa 300 Mal mehr Nickel aus, als von den EU-Richtlinien für Bedarfsgegenstände erlaubt. Ursache für die hohe Nickelauslösung ist die Zusammensetzung aus zwei verschiedenen Metalllegierungen. Der hellere Teil enthält 25 Prozent Nickel und der dunklere nur 5 Prozent.
Menschen in Berufen, die viel mit Münzgeld in Berührung kommen (z.B. Verkäuferinnen), haben ein erhöhtes Risiko, eine Nickelallergie zu entwickeln. Tragisch: gerade in diesen oft stehenden Berufen treten wiederum Knie-Arthrosen vermehrt auf.
Info: Darum ist das Knie so gefährdet
Das Knie ist einerseits das größte Gelenk des Menschen – aber auch sein empfindlichstes. Im Gegensatz zur Hüfte – wo ein stabiles Kugelgelenk sitzt, stoßen in der Beinmitte nur der abgerundete Oberschenkelknochen auf eine ebene Gelenkfläche des Schienbeins. Schon geringe Veränderungen – angeboren oder verletzungsbedingt – können zur vorzeitigen Abnutzung und zu Schmerzen führen.
Gefahr „Schreibtisch“: Schlimmster Feind des Knies ist Dauersitzen. Einerseits wird durch die Ruhigstellung die Versorgung des Knorpels gestört. Denn wie ein Schwamm holen sich die Zellen bei jeder Schritt Nährstoffe aus der Gelenkflüssigkeit. Anderseits wird auch die Beinmuskulatur unsymetrisch (auf der Forderseite länger, hinten dafür kürzer). Folge: Das Gelenk verliert seine Stabilität, bekommt gefährlichen Spiel. Und die Verletzungsgefahr für den sensiblen Knorpel steigt an.
Selbsthilfe: So schützen Sie Ihre Gelenke
Wie ein Schwamm holt sich der Knorpel bei jeder Bewegung Nährstoffe aus der Gelenkenflüssigkeit. Fehlverstandene Schonung führt bei Arthrose zur weiteren Schwächung des Knorpels. Dagegen helfen regelmäßiges, gelenkschonendes Training wie Aquajogging, Radfahren, Nordic Walking (mit Stöckern) den Knorpelverschleiß abzubremsen. Außerdem schützt eine trainierte Muskulatur das Gelenk vor Verletzungen.
Ernährung. Aber auch unser täglich Brot entscheidet mit über den Verlauf der Arthrose. Obst & Gemüse wirken abschwellend. Die enthaltenen Vitamine fangen zerstörerische Stoffwechselendprodukte ein. Auch sorgen sie für einen ausgeglichen Basen-Haushalt.
Arachidonfettsäuren befeuern die Entzündung. Da Leberwurst, Eigelb, Schweineschmalz und Schweinefleisch davon viel enthalten, sollten Sie sie meiden.
Getreide stärkt mit dem Zink- und Vitamin B6-Reichtum den Knorpel. Auch gut: Weizenkeime (Vitamin E). Lachs und Hering enthalten viel Omega-3-Fettsäuren, die antientzündlich wirken.
Schnelltest: „Habe ich Arthrose?“
- Müssen Sie sich bei der Arbeit häufig bücken oder gar hinknien?
- Haben Sie starkes Übergewicht?
- Kommen Sie weniger als zweimal pro Woche durch Bewegung ins Schwitzen?
- Gibt es in Ihrer Familie Fälle von vorzeitiger Arthrose?
- Hatten Sie schon einmal eine Gelenkverletzung?
Auswertung: Jedes Ja steigert Ihr Risiko, Probleme mit den Gelenken zu bekommen. Sie sollten so schnell wie möglich einer Zerstörung der Bio-Scharniere vorbeugen. Bei bereits bestehenden Schmerzen ist bald möglichst ein Besuch beim Facharzt angebracht. Besprechen Sie mit ihm, was Sie gegen den Gelenkverschleiß tun können.
Der Arzt: Stabiler Knochen gibt Halt
Dr. Bruno Schweigert hat in seinem Berufsleben bereits mehr als 6500 künstliche Gelenke eingesetzt. Seit 2005 ist der 61jährige, gebürtige Brasilianer Chefarzt für „Spezielle Orthopädie“ am Ortenau Klinikum.
Spezialisiert: Die Wahl des jeweiligen Implantats richtet sich vor allem nach dem Stadium der Arthrose sowie der Festigkeit des Knochens. Ganz wichtig für jeden OP-Erfolg ist aber auch die anschließende Reha, bei der die Muskulatur aufgebaut wird.
Klinik-Info:
Pro Jahr werden am Ortenau Klinikum Offenburg-Gengenbach mehr als 500 Ersatz-Ops an Kniegelenken durchgeführt. Dank patientengesteuerter Schmerz-Pumpen in dem Endoprothetikzentrum der Maximalversorgung werden die Eingriffe als wenig belastend erlebt. Dazu kommt die interoperative Aufarbeitung des verlorenen Bluts und die Eigenblutspende vor der OP, so dass inzwischen kaum noch Fremdblut zum Einsatz kommt
Klinikkontakt: Ortenau Klinikum, Orthopädische Klinik, Leutkirchstraße 32, 77723 Gengenbach, Tel. 07803/ 89-3001, Web: www.endoprothetik-ortenau.de
Mein Vater hat sich auch ein künstliches Kniegelenk bekommen. Beim ersten Knie funktionierte alles außergewöhnlich gut, sodass er ein paar Monate später noch das zweite operieren ließ. Leider heilt es hier nicht so gut und er musste für einige Zeit zur Reha. Ich denke nicht, dass die hier angesprochene Arthrose der Grund war. Ich werde ihm aber von den Ernährungstipps berichten.
Eine Freundin von mir hatte einen Motorradunfall und sich das Knie zertrümmert. Das musste ausgetauscht werden und nun hat sie eine Prothese. Sich daran zu gewöhnen fällt ihr immer noch etwas schwer. Es ist interessant, dass die Ernährung auch eine wichtige Rolle spielt. Meine Freundin isst sehr gerne Leberwurst, was sie sich dann lieber abgewöhnen sollte.
Meine Mutter wird bald auch ein neues Knie bekommen. Sie hat aber Angst vor der OP. Ich denke, der Beitrag wird sie beruhigen. Es ist echt toll, dass die OP erfolgreich war!
Danke für diesen ausführlichen Bericht über dein neues Kniegelenk. Gut zu sehen, dass die Reha bei dir schnell und problemlos verlief. Ich habe auch seit einiger Zeit Probleme mit dem Kniegelenk und werde mich mal mit einem Spezialisten beraten.
Toller Bericht über die Knie Endoprothese. Las sich sehr gut. Ich konnte nicht aufhören.