Bewusst genieße ich jetzt jeden Atemzug, der mir leicht fällt

diagnostik_auskultation4Geräusch. Normalerweise hätten seine Lungen beim Einatmen klingen müssen wie ein großer Blasebalg, der sich elastisch mit Luft vollsaugt. Doch bei der Untersuchung im März letzten Jahres im Lungenzentrum Bodensee hört es sich im Brustkorb von Thomas Wehrle (52) so an, als würden Klettverschlüsse Stück für Stück auseinandergerissen.

Eindeutig. „Es gibt Hausärzte, die dem Geräusch während ihres gesamten Berufslebens nicht begegnen werden. Einmal vernommen lässt es einen allerdings nie wieder los. Denn das feine, langsame Knisterrasseln im Stethoskop ist ein ziemlich eindeutiger Hinweis auf eine sehr seltene, dafür um so gefährlichere Erkrankung: die Lungenfibrose“, erklärte kurz darauf Professor Hans-Joachim Kabitz (39) seinem untypisch erkälteten Patienten.

wirtschaft_ehepaarwehrleAhnung. Tatsächlich war Thomas Wehrle vorrangig wegen eines Virusinfekts zum Arzt gegangen. Dennoch wusste der 52jährige Mann, der in Allensbach (nahe Konstanz) seit dreißig Jahren hinter dem Tresen der Traditionswirtschaft „Scharfes Eck“ steht, schon länger, dass mit seiner Lunge etwas nicht stimmt.

Veränderung. „Genauer war ich es, die im Oktober 2009 während einer Minikreuzfahrt nach Oslo merkte, dass sich Thomas verändert hatte, immer öfter kurzatmig stehenblieb“, ergänzt Ehefrau Christiane (55). „Als ich ihn darauf ansprach, versuchte er mich zu beruhigen. ,Kommt von allein, geht von allein’ meinte er aufmunternd.“

spaziergang_ehepaarwehrle5Untersuchung. Sechs Monate später begriff der ehemalige Hobby-Fußballer und Tischtennis-Spieler, dass er doch medizinische Hilfe benötigen wird. „Bei der Gartenarbeit wollte ich mit der Schubkarre ein kleines Stück den Berg hoch, als ich schlagartig keine Luft mehr bekam. Noch am selben Tag ging ich zum Hausarzt. Von dort ging es zum Lungenfacharzt. Schließlich in eine Fachklinik. Ein ziemlich großer Aufwand vor dem Hintergrund, dass ich zwölf Tage später ohne genaueren Befund nach Allensbach zurückkehrte.“

arztgespraech_posterZwischenlösung. Zur Vermeidung weiterer Luftnot nahm der Mann, der am liebsten im Urlaub mit Ehefrau Christiane ganze Städte wie Hamburg zu Fuß oder per Fahrrad erkundete, dreimal täglich hochdosierten Schleimlöser und knapp drei Jahre lang antientzündliches Kortison. „Viel besser wurde es nicht. Zum Glück auch nicht viel schlechter – bis zur Erkältung Anfang 2016.“

diagnostik_lungenfunktion4Problem. Normalerweise ist gesundes Lungengewebe weich und flexibel. Dadurch fällt uns das Atmen leicht. Doch bei einer Fibrose verliert das Doppelorgan infolge fortschreitender Vernarbung zunehmend die Fähigkeit den lebenswichtigen Sauerstoff an das Blut abgeben zu können.

Befund. „Für die genaue Diagnose wurde diesmal bei mir in Vollnarkose eine Bronchoskopie gemacht, zusätzlich ein Stück Gewebe minimalinvasiv von außen durch den Brustkorb entnommen“, erzählt Thomas Wehrle ganz tapfer. „Auch die hochauflösende Computertomographie mit dem typischen Narbenmuster in meiner Lunge, bestätigte den unguten Anfangsverdacht von Professor Kabitz: da keine Ursache für die vermehrte Bindegewebs-Bildung gefunden wurde, handelt es sich bei mir um die so genannte idiopathische Lungenfibrose – kurz IPF!“

selbsthilfe_lungentrainer3Prozess. Aus unbekannter Ursache fangen bei der IPF körpereigene Bindegewebszellen an, die kleinen Lungenbläschen nach und nach durch Narbengewebe zu ersetzen. Im Verlauf der zum Teil schubweise fortschreitenden Vernarbung verdickt und versteift sich das normal extrem dünne und elastische Gewebe, so dass immer weniger Sauerstoff durch die körpereigene Barriere ins Blut hinüberwechseln kann.

Prognose. Folgt man der Statistik ist der Krankheitsverlauf von Thomas Wehrle sogar außergewöhnlich positiv. Chefarzt Prof. Kabitz: „Traurigerweise liegt ab Diagosestellung die mittlere Überlebenszeit nur zwischen zwei und fünf Jahren. Nur etwa jeder dritte Patient mit IPF lebt länger als 60 Monate. Damit führt die idiopathische Lungenfibrose rascher zum Tode als viele Krebserkrankungen.“

gehstrecke_start2Studie. Doch der Internist und Pneumologe hat eine gute Nachricht für seinen Patienten. Er kann im Lungenzentrum Bodensee eines der modernen IPF spezifischen Medikamenten bekommen. Diese so genannten Antifibrotika wirken gezielt gegen das unerwünschte Wuchern des Bindegewebes.

Reha. „Neben der Medikamente ist ein gezieltes Training der Lungenfunktion und die Meidung von Giftstoffen – wie z.B. Zigarettenrauch – mindestens genauso wichtig“, betont Prof. Kabitz. Wie das geht, erfuhr Thomas Wehrle – begleitet von Ehefrau Christina – nach dem Aufenthalt im Lungenzentrum in einer speziellen Anschlussheilbehandlung in einer Lungen-Reha.

therapie_medikamenteVeränderung. „Es war wirklich beeindruckend, welche Fortschritte Thomas dort unter der neuen Therapie gemacht hat“, strahlt sie begeistert. „Im Alltag ist seine Krankheit eigentlich kaum noch zu merken. Dafür treten wir jetzt mit unserer Wirtschaft ein bisschen kürzer!“

Bewegung. Wenn das Wetter gut ist, sind die beiden mindestens einmal pro Woche mit dem Fahrrad unterwegs, gehen fast täglich am schönen Bodensee spazieren. Nur wenns wirklich anstrengend ist, greift der 1,90-Mann auf sein Sauerstoffgerät zurück, das per Akkubetrieb die normale Atemluft mit dem kostbaren Zell-Treibstoff anreichert .

Entscheidung. „Natürlich gibt es keine Garantie, dass es ewig so bleibt“, sagt Thomas Wehrle. „Aber ich habe beschlossen, dass ich mir darüber noch Gedanken machen kann, wenn es wirklich so weit ist. Bis dahin genieße ich einfach unser Leben und jeden Atemzug, der mir leicht fällt!“

 

Sechs Fragen an Prof. Dr. Hans-Joachim Kabitz (39), Chefarzt der II. Medizinischen Klinik des Krankenhauses Konstanz und Leiter des Lungenzentrums Bodensee

 experte_professorkabitz6Was verbirgt sich hinter idiopathische Lungenfibrose (IPF) genau? Bei dieser seltenen Lungenerkrankung kommt es aus bislang unbekannter Ursache zu einer fortschreitenden Vernarbung des elastischen Lungengewebes. Die Folge ist, dass über die Lungenbläschen immer schlechter Sauerstoff aufgenommen werden kann. Der fehlgesteuerte Umbau des Bindegewebes behindert zunehmend die Atemfunktion und führt in relativ kurzer Zeit zur nahezu vollständigen Zerstörung des Lungengewebes.

Wie macht sich die IPF bemerkbar? Anfangs tritt die typische Kurzatmigkeit bei körperlicher Anstrengung auf, z. B. beim Treppensteigen. Später belastet der Luftmangel – oft gepaart mit unangenehmem, trockenem Reizhusten – auch in Ruhe.

diagnostik_stethoskopWoran erkennt der Arzt die idiopathische Lungenfibrose? Neben dem typischen Klettband-Geräusch beim Abhören per Stethoskop und einer hochauflösenden Computertomographie ist in Abhängigkeit der Gesamtbefunde für den Ausschluss anderer Ursachen (z. B. Asbest) eine Bronchoskopie und die Gewebeuntersuchung im Labor notwendig.

Wie wird die idiopathische Lungenfibrose behandelt? Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass es bis vor kurzem keine wirklich wirksame Therapie gab. Weder Dauerkortison, noch die zusätzlichen Wirkungen von „Schleimlösern“ konnten in wissenschaftlichen Studien überzeugen. Inzwischen gibt es IPF-spezifische Medikamente. Die so geannten Antifibrotika hemmen die schädliche Aktivität von Bindegewebszellen in der Lunge. Damit haben wir erstmals die Möglichkeit das Fortschreiten der IPF nachweisbar zu verlangsamen.

arztgespraech_ctWann sollte die Therapie beginnen & wie lange dauert sie? Daten weißen darauf hin, dass Patienten mit IPF auch bereits in sehr frühen Stadien der Erkrankung von den Antifibrotika profitieren können. Damit werden unter anderem irreparable Schäden am zarten Lungengewebe reduziert bzw. vermieden. So lange die Betroffenen die Therapie tolerieren, können Antifibrotika auf Dauer eingenommen werden.

Und was hilft, wenn die Tabletten nicht mehr wirken? Dann bleibt uns bei Patienten die jünger sind als 65 Jahre – wie Herr Wehrle – zum Glück die Möglichkeit der Lungentransplantation. Dafür arbeiten wir eng mit verschiedenen, großen Transplantationszentren zusammen. Tatsächlich kann eine Lungentransplantation die Erkrankung sogar heilen. Da der Eingriff aber sehr belastend ist, das Risiko von tödlichen Abstoßungsreaktionen oder auch Infektionen besteht und auch nur eine begrenzte Anzahl von Organen zur Verfügung steht, bleibt die Lungenverpflanzung generell die allerletzte Möglichkeit.

 

ct_ipf_lungeHintergrund Idiopathische Lungenfibrose

In der Europäischen Gemeinschaft sind etwa nur 80000 bis 110000 Menschen von der IPF betroffen. Damit zählt die tödlich verlaufende Krankheit zu den so genannten seltenen Erkrankungen.

Idiopathisch bedeutet, dass die genaue Ursache bislang unbekannt ist, warum das Bindewebe damit beginnt Narbengewebe zwischen den Lungenbläschen zu bilden. Durch fortschreitende Verdickung und Versteifung des Halteapparats der Lungenbläschen kann sich die Lunge immer schlechter ausdehnen. Immer weniger Sauerstoff gelangt so in die Blutbahn.

 

Wunderwerk Lunge

lunge_roentgenbildDie Lunge besteht aus zwei Lungen-Flügeln: Die rechte Lunge besteht aus drei Lappen (Ober-, Mittel- und Unterlappen). Die Linke dagegen nur aus zwei (Ober- und Unterlappen). Die Lappen sind durch deutlich sichtbare Spalten von einander getrennt. Jeder Lappen ist wiederum in „Segmente“ unterteilt, deren Zahl schwanken kann.

Die Bronchien sind ein weitverzweigtes Rohrsystem, das beide Lungenflügel bis in den kleinsten Winkel erschließt. Seine Aufgabe ist es, die am Ende sitzenden, Millionen kleinster Lungenbläschen mit sauerstoffreicher Luft zu versorgen. Die Alveolenwände ermöglichen dem Sauerstoff in die dahinterliegenden Blutgefäße überzutreten. Beim Ausatmen funktioniert der Gasaustausch umgekehrt: Hier strömt die verbrauchte, kohlendioxidreiche Luft aus den Gefäßen über die Lungenbläschen in die Bronchien und wird abgeatmet.

Den Rhythmus des Ein- und Ausatmens können wir sowohl willentlich steuern, als auch (z. B. im Schlaf) unserem Vegetativen Nervensystem überlassen.

 


luftballons_thomaswehrle2Kurzcheck Wie fit ist meine Lunge?

  1. Leiden Sie anhaltend unter unproduktivem, trockenem Husten?
  2. Kommen Sie bei körperlicher Belastung, die früher kein Problem war, in letzter Zeit schnell aus der Puste?
  3. Leiden Sie ohne erkennbaren Grund unter Luftnot?
  4. Atmen Sie in Ruhe öfter als 20mal pro Minute ein- und wieder aus?
  5. Färben sich bei körperlicher Belastung ihre Lippen auffallend bläulich?

 

Check: Bereits eine positive Anwort könnte ein Hinweis sein, dass mit Ihrer Lunge etwas nicht in Ordnung ist. Anhaltende Atembeschwerden sollten Sie generell ärztlich kontrollieren lassen. Gegebenenfalls kann ein Lungenfacharzt (Pneumologe) dann weitere Untersuchungen veranlassen.

 

Kontakt: Lungenzentrum Bodensee, II Medizinische Klinik am Krankenhaus Konstanz, Luisenstraße 7, 78464 Konstanz

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About André Berger

Geboren in Hamburg. 1986-1990 freier Reporter. 1991 Redakteur Heinrich Bauer Verlag. Seit 1992 freier Medizinreporter Meine Arzt- & Patienten-Reportagen (Text & Fotos) erscheinen regelmäßig in den großen, wöchentlichen Publikums- und Frauenzeitschriften des Burda-Verlags, der Funke-Gruppe und des Bauer Verlages