Abenteuer Diagnose: Meine Verdauungsbeschwerden kamen von einer Schwäche der Bauchspeicheldrüse

Tapfer. „Auffällig war vor allem die extreme Erschöpfung, Blähungen und Durchfälle nach dem Mittagessen im Büro. Hätte ich gewusst, dass das erst der Anfang eines langen Leidensweges ist, hätte ich mich vermutlich viel früher auf die Suche nach einem Experten gemacht“, erinnert sich Anna Voigt (42, Name geändert) an den Anfang ihrer Krankengeschichte vor vier Jahren. „Aber so buchte ich meine Probleme mit dem vollen Bauch, die auffällig nach schwerer, fettreicher Küche auftraten, tapfer unter vorübergehende Befindlichkeitsstörungen ab.“

Erfolglos. Je nachdem, was es damals bei der Versicherungsangestellten aus Bielefeld in der Kantine gibt, rettet sie sich nur mit viel Kaffee über den Nachmittag. „Sonst wäre ich am Schreibtisch einfach eingeschlafen. Zuhause stellte ich intuitiv auf leichtverdaulichen Toast, Haferflocken und laktosefreie Milch um. Einen durchschlagenden Erfolg hatte ich damit aber nicht.“

Sorgen. Zum Arzt geht die große, schlanke Frau trotz allem erstmal nicht. Erst als die Bauchgeräusche, die Stuhlgangsfrequenzen und Schmerzen immer schlimmer werden, fasst sich Anna ein Herz und macht in ihrer Hausarztpraxis einen Termin. „Dass Stress, Hektik, spätes und schweres Essen auf die Verdauung schlagen kann, war mir klar. Doch die wiederholten Durchfälle bereiteten mir irgendwie doch Sorgen.“

Ratschlag. Nach einem kurzen Routinecheck kommt vom Hausarzt Entwarnung. „Das kleine Blutbild, der Ultraschall und auch der Darmkrebs-Test – alles ist völlig unauffällig. Vermutlich leiden Sie unter dem Reizdarm-Syndrom – sicher lästig, aber ungefährlich. Versuchen Sie einfach, sich möglichst ausgewogen zu ernähren. Gut ist auch mediterane Kost mit viel hochwertigem Olivenöl.“

Schmerzhaft.Das Befolgen der Ratschläge bringt keine Linderung, die Beschwerden bestehen weiter, vor allem nach fettreichem Essen. Anfang 2022 kommt bei Anna Voigt noch Juckreiz hinzu. Und zwar immer schmerzhafter. „Das kam vom häufigen, weichen Stuhl. Dadurch fühlte sich mein Po immer gereizter an. Ab und zu blutete es sogar. Umso wichtiger war mir absolute Sauberkeit. Doch je mehr Toilettenpapier ich verbrauchte, umso schlimmer wurde es. An manchen Tagen konnte ich nicht mehr richtig sitzen. Im Juni so schlimm, dass ich deswegen sogar nicht ins Büro konnte.“

Spezialisiert. Der verzweifelte Versuch, mit feuchtem Toilettenpapier Linderung zu erlangen, machte alles nur noch schlimmer. Ende August sieht sie keinen anderen Weg, als doch noch einmal einen Arzt zu Fragen. Im Internet stößt sie auf Dr. Nicole Steenfatt (49), die 2020 in Bad Oeynhausen eine spezialisierte ganzheitliche DarmGesundheitspraxis eröffnet hat.

Beweiskette. „Viele Probleme mit unserem biologischen Auspuff – dem Enddarm und Anus – haben gar keinen lokalen Ursprung, sondern weisen – wie bei Ihnen vermutlich – auf eine vorgeschaltete Störung des (Verdauungs)motors hin – also auf ein Problem im Magen-Darm-Trakt“, so die Erfahrung der  DarmGesundheitsexpertin, die ihre Facharztausbildung unter anderem an der berühmten Berliner Universitätsklinik Charité gemacht hat. „Ein Indikator dafür ist zum Beispiel, wie  der Stuhl geformt ist. Im Idealfall sollte das vom Bristol Typ vier – also ein wohlgeformter und geschmeidig gleitender Stuhl, der keine Spuren auf dem Toilettenpapier hinterlässt – sein. Ist der Stuhl weicher oder härter, kann das ein wichtiges Indiz sein.“

Diagnostik. Bei Anna Voigt erfolgt zur Diagnose-Sicherung erst einmal der schulmedizinische Ausschluss von bösartigen Ursachen wie Darmkrebs oder chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie unter anderem Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa mittels einer Darmspiegelung im Dämmerschlaf.  Da alles in Ordnung ist, gibt ihr die Ärztin daraufhin Stuhlproben-Röhrchen mit. „Die schicken Sie mit der Post ans Labor – und wir sehen uns  in drei Wochen wieder, um die Ergebnisse zu besprechen“, so Doktorin Steenfatt.

Spannung. Anfang Oktober kommt die Westfälin das zweite Mal in die Darm-Gesundheitspraxis. „Gespannt harte ich bei dem Diagnose-Abenteuer dem Ergebnis der Analyse entgegen“. Das ist bei Anna überraschend eindeutig und weist einen deutlichen Mangel der Pankreas-Elastase 1 im Stuhl nach!

Erläuterung. „Für uns Ärzte ist das ein klassischer Beleg für eine exokrine Pankreasinsuffizienz – eine Verminderung der Produktion von Verdauungsenzymen in der Bauchspeicheldrüse,“ erläutert die Medizinerin.

Häufig. Experten schätzen inzwischen, dass bis zu jeder zehnte Patient mit diffusen Bauchbeschwerden in Wahrheit an der sogenannten „exokrinen Pankreasinsuffizienz“ – kurz EPI – leidet. Häufig werden solche vermeintlich geringfügigen und als peinlich empfundenen Verdauungsprobleme über längere Zeit einfach nur hingenommen und ertragen.

Einfach. „Völlig unnötigerweise“, betont Dr. Nicole Steenfatt. „Denn die benötigten Verdauungsenzyme können dem Körper einfach zur Mahlzeit in Form von Verdauungsenzymen in Kapselform z.B. aus Reispilzen (Rizoenzyme) zugeführt werden.“

Normalisierung. Diese Rizoenzyme übernehmen im Körper die Aufgaben der fehlenden körpereigenen Enzyme. Die Wirkung: Lipasen, Proteasen und Amylasen können die komplexe Verdauung von Fetten, Eiweißen und Kohlhydraten wiederherstellen. Dadurch können die Betroffenen weitgehend zu ihren gewohnten Essgewohnheiten zurückkehren.

Erfahrung. Anna Voigt holt sich das Enzym-Präparat auf ärztliches Anraten aus der Apotheke, tastet sich bei der Dosis dann langsam heran. „Gute Erfahrung habe ich mit jeweils zwei kleinen Kapseln pro Mahlzeit gemacht, die ich unzerkaut einfach mit einem Schluck Wasser während des Essens eingenommen habe“, erzählt sie.

Erfolg. „Was mich wirklich verblüfft hat, war der Wirkungs-Eintritt: schnell nach dem Behandlungbeginn waren die Schmerzen kaum noch spürbar. Und auch die Blähungen blieben aus. In den nächsten ein bis zwei Wochen normalisierten sich  dann Stuhlhäufigkeit, -farbe und -beschaffenheit. Heute kann ich wieder alles essen – ohne hinterher tausend Tode zu sterben. Das ist ein wirkliches Stück Lebensqualität!“

Fünf Fragen an Dr. Nicole Steenfatt (49), Fachärztin für Allgemein- und Viszeralchirurgie mit den Schwerpunkten für Ernährungsmedizin, ganzheitliche Darmgesundheit, Stuhlinkontinenz und Proktologie


Woran erkenne ich, dass ich zu wenig Verdauungsenzyme habe? Klassisch sind Beschwerden wie Blähungen, Oberbauchschmerzen, häufiger Stuhlgang mit heller Farbe und weicher Beschaffenheit. Ein wirklich einfacher und logischer Nachweis ist: bringt die Einnahme der Enzyme eine Beschwerdelinderung, liegt eine Schwäche der Bauchspeicheldrüse vor. Zudem geben die Ergebnisse eines Labortest auf Pankreas-Elastase 1 im Stuhl Hinweis auf eine Bauchspeicheldrüseninsuffizienz. 

Gibt es eine spezielle EPI-Diät? Außer Reduktion bzw. komplette Meidung von Alkohol gibt es eigentlich keine großen Einschränkungen bei einer Bauchspeicheldrüsenschwäche. Wenn Sie Enzympräparate einnehmen, können Sie fast alles essen. Wichtig ist, dass Sie über den Tag verteilt besser vier bis sechs kleinere Mahlzeiten zu sich nehmen, als zwei große; dass Sie langsam kauen und sich ausreichend Zeit fürs Essen nehmen; dass Sie auf eine ausgewogene, abwechslungsreiche und nicht zu fette Ernährung achten (z.B. nichts Frittiertes).

Und was ist mit dem Lifestyle-Change? Hier gilt, alles was der Verdauung gut tut, ist natürlich auch bei der Pankreasinsuffizienz hilfreich. Dazu zählt körperliche Bewegung, um die Darmbewegung (Peristaltik) anzuregen, ausreichend trinken – mindestens zwei Liter Wasser, Schorlen oder koffeinfreie Tees, Stressabbau und bequeme Kleidung.

Wie setze ich die Enzyme richtig ein? Nehmen Sie die Kapseln verteilt zu jeder Hauptmahlzeit ein – auch zu fetthaltigen Zwischenmahlzeiten. Schlucken Sie die Kapseln unzerkaut mit reichlich Flüssigkeit während des  Essens. Nicht vorher und nicht nachher! Kauen Sie die Nahrung lang und gründlich.

Welcher Personenkreis ist besonders gefährdet? Ein erhöhtes Risiko für eine exokrine Pankreasinsuffizienz liegt bei Menschen vor, die an Diabetes mellitus leiden, schon mal eine Bauchspeicheldrüsenentzündung hatten, rauchen oder regelmäßig Alkohol trinken, sich in der zweiten Lebenshälfte befinden oder starkes Übergewicht haben. In jedem zweiten Fall kennen wir die Ursache aber nicht.

Stoffwechseltalent Bauchspeicheldrüse

Das zirka 80 Gramm schwere Leichtgewicht zwischen Magen und Darm stellt täglich bis zu zwei Liter Verdauungsflüssigkeit her. Dieser enthält bis zu 30 Gramm Enzyme, die im Dünndarm Fette, Eiweiße und Kohlenhydrate spalten. Zusätzlich sitzen auf dem 16 Zentimeter kleinen Organ eineinhalb Millionen „Langerhans-Inselzellen“. Sie schütten bei Bedarf Insulin aus. Dieses Hormon hält den Blutzuckerspiegel in Balance.

Selbsthilfe: So beruhigen Sie den Bauch

Locker lassen: Verringern Sie berufliche oder private Dauerbelastungen. Progressive Muskelentspannung oder Autogenes Training helfen Ihnen, den Alltagsstress besser zu „verdauen“.               

 Bewusster Essen: Gereifte Milchprodukte wie laktosefreier Joghurt und Kefir stabilisieren die Darmflora und regulieren die Verdauung auf natürliche Weise. Verzichten Sie außerdem auf Alkohol, der belastet die Bauchspeicheldrüse.

Wärmen & bewegen: Wärmflasche und feuchte Wickel lösen Verspannungen und Krämpfe. Fenchel-, Anis-, Kümmel- oder Kamillentee beruhigen den Darm. Bewegung löst verspannte Muskulatur, stärkt die Darmfunktion.

Enzymsubstitution: Dem Körper geben, was er selbst nicht produzieren kann

Die einzige Therapie bei exokriner Pankreasinsuffizienz ist die Einnahme von Verdauungsenzymen wie der vegetarischen Rizoenzyme. Dabei ist es immer sinnvoll, ein Enzym-Tagebuch zu führen. Notieren Sie, was Ihre Beschwerden verursacht und vor allem wann sie auftreten (Tages- und Arbeitsrhythmus, Stress, Essen) und die Menge der eingenommenen Enzyme. Sie merken schnell, wieviele Enzyme Sie nehmen müssen, um die Beschwerden zu vermeiden.

EPI-Kurzcheck

Soll ich zum Arzt?

  • Meine Darmgeräusche sind manchmal so laut, dass es mir unangehnehm ist
  • Ich leide vor allem nach fettigem Essen stark unter Blähungen, strengriechendendem Stuhl und Völlegefühl
  • Wenn ich groß zur Toilette muss, habe ich keine Zeit zu verlieren
  • Mein Stuhlgang ist sehr weich, hell und voluminös und schwimmt im Toilettenwassser oben
  • Nach dem Spülen muss ich oft die Bürste benutzen und es riecht stechend scharf
  • Ich habe gürtelförmige Schmerzen und Krämpfe im Oberbauch
  • Ich leide gleichzeitig an Gewichtsverlust
  • Ich leide unter anhaltender, wiederkehrenden Müdigkeit

Auswertung: Je öfter Sie mit Ja geantwortet haben, desto wahrscheinlich ist es, dass Sie an einer Pankreasinsuffizienz leiden. Auch wenn nur zwei oder drei Beschwerden auftreten, sollten Sie Ihren Arzt bei nächster Gelegenheit ansprechen. Nehmen Sie dazu gerne den Kurzcheck mit.

Kontakt: DarmGesundheitspraxis Dr. Nicole Steenfatt, Klosterstraße 25, 32545 Bad Oeynhausen, Tel. 05731/9819061, www.darmgesundheitspraxisdrsteenfatt.de

Kosten: Arzneimittel mit Verdauungsenzymen aus Reispilzen, die die Arbeit der körpereigenen Enzyme übernehmen, gibt es rezeptfrei in jeder Apotheke (z.B. Nortase, 100 Kapseln ca. 34 Euro).  Halten Sie Rücksprache mit Ihrem Arzt wegen einer möglichen Verordnung. 

Online-Umfrage: hinter mindestens sechs Prozent der Reizdarmdiagnosen steckt in Wirklichkeit eine EPI. Um die Fehlversorgung besser zu erfassen, gibt es in Zusammenarbeit mit der Deutschen ReizdarmSelbsthilfe e.V. für Paitenten mit wiederkehrenden Durchfällen eine Online-Umfrage unter www.umfrage-reizdarm.de

Hinweis: Bei der vorgestellten Patienten-Reportage handelt es sich um einen Einzelfall. Der Erfahrungsbericht erhebt nicht Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Therapieergebnisse sind generell individuell. Bitte beachten Sie, dass meine Artikel in keinem Fall eine Beratung durch den Arzt oder Apotheker ersetzen. Dieser Blog dient der medizinjournalistischen Information.

© medizin-reporter.blog/André Berger

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About André Berger

Geboren in Hamburg. 1986-1990 freier Reporter. 1991 Redakteur Heinrich Bauer Verlag. Seit 1992 freier Medizinreporter Meine Arzt- & Patienten-Reportagen (Text & Fotos) erscheinen regelmäßig in den großen, wöchentlichen Publikums- und Frauenzeitschriften des Burda-Verlags, der Funke-Gruppe und des Bauer Verlages