Angekommen. „Die eigene Krankheit im Internet zu googeln – das mache ich nicht. Es würde mir nur unnötig Sorgen bereiten, alles zu lesen, was unter ,Myelofibrose’ zu finden ist. Ich habe meinen Weg gefunden, mit der Diagnose umzugehen. Und egal wie viel Zeit mir nach 44 Jahren mit dem seltenen Blutkrebs bleibt: Gewonnen haben ich auf jeden Fall!“
Aktionismus. Ernsthaft krank hat sich Evi Klopfer nicht gefühlt – damals im Frühjahr 1974. Deshalb verstand die heute 67-jährige auch nicht den plötzlichen Aktionismus, den der Hausarzt wegen der Erkältung und des bisschen Fiebers an den Tag legte.
Kontrolle. „Ursprünglich war es ein verschleppter Infekt, weshalb ich zum Hausarzt gegangen war. Nun sollte ich umgehend ins Krankenhaus. Der Arzt fand, meine Milz sei viel zu groß. Und das müsse unbedingt kontrolliert werden“, erinnert sich die Frau, die heute mit ihrem Mann nahe Augsburg auf dem Land lebt.
Störung. Die Bedeutung der Diagnose nicht richtig einordnend, folgte Evi Klopfer dem ärztlichen Rat und wurde – nach Vorstellung in verschiedenen Krankenhäusern – schließlich in der Universitätsklinik Ulm darüber aufgeklärt, was bei ihr nicht stimmte: die Blutbildung war gestört. Aufgrund von Gewebeveränderungen zogen sich die lebenswichtigen Stammzellen aus dem Markraum im Knochen zurück und siedelten sich in der Milz an.
Folge. „Deshalb die erheblich Vergrößerung des eigentlich kleinen, bohnenförmigen Organs unterhalb des Magens. Deshalb auch die Erkältung, die nicht besser werden wollte: Durch die Störung der Blutbildung hatte ich einerseits zu viele rote Blutkörperchen, andererseits zu wenig weiße“, begriff Evi Klopfer. „Mein Immunsystem war derart geschwächt, dass mein Körper nicht mal mehr mit einem Schnupfen richtig fertig wurde.“
Prognose. Das große Dilemma: Eine ursächlich wirkende Therapie gegen die seltene Variante von Blutkrebs gab es damals nicht. Eine milde Chemotherapie gegen die überzähligen Blutplättchen konnten die Ärzte Evi Klopfer anbieten. Sonst noch den Rat, sich sterilisieren zu lassen, da das Risiko einer Schwangerschaft zu groß wäre; und eventuell das Studium aufzugeben, da es durchaus möglich wäre, dass die junge Frau das Erwerbsleben gar nicht erreichen werde.
Umstellung. „Zum Glück beeindruckte mich die damalige Hilflosigkeit der Ärzte kaum. Im Gegenteil: sie ermutigte mich, meinen eigenen Weg zu gehen. Und da ich bald in dritter Generation ein Reformhaus führen wollte, begann ich mit viel Sport – vor allem Joggen und Fitnesstraining – gegen die Beschwerden anzugehen. Außerdem achtete ich auf meine Ernährung, kochte stets frisch, regional und saisonal. Ich mied Konservierungs- und Aromastoffe, registrierte genau, was mir bekommt und was nicht. Alles was zu fett oder zu süß war, ließ ich weg.“
Experte. Zudem setzte Evi Klopfer auf Alternativmedizin, ließ sich homöopathisch und traditionell chinesisch mit Globuli und Akupunktur behandeln. „Auch wenn die Schulmediziner nur mit dem Kopf schüttelten – mir half es. Und zwar so gut, dass ich drei gesunde Kinder zur Welt brachte und vor 25 Jahren beruflich noch einmal durchstartete – als Yoga-Lehrerin. Was mir gut tat, wollte ich nun auch anderen zeigen.“
Verdrängung. Bis vor etwa sieben Jahren gelang es Evi Klopfer tatsächlich, so einen fast ganz normalen Alltag zu leben. Dann musste sie sich eingestehen, dass sie die Beschwerden nicht länger ignorieren kann: „Die Milz war inzwischen so groß, dass es immer schwieriger wurde, meine Yoga-Übungen zu turnen. Ich fühlte mich, als wäre ich schwanger: das Organ verdrängte alle anderen Bauchorgane wie Magen, Darm und Blase mit entsprechenden Beschwerden.“
Hilfe. Auch kräftemäßig baute die damals 60-Jährige aufgrund des Mangels an roten Blutkörperchen rapide ab. Wenn sie sich mit einer Freundin zum Wandern traf, ist sie es, die erstmalig anderen hinterher läuft. Im Frühjahr 2013 sucht sie mit ihren Beschwerden Doktor Olaf Brudler von der Hämatologisch-Onkologischen Praxis Augsburg auf. Dort hat man sich auf die Behandlung der sogenannten Myeloproliferativen Neoplasien – kurz MPN – spezialisiert.
Aggressiv. „Ausgehend von einer Million Menschen erkranken pro Jahr etwa 17 Deutsche pro Jahr an dem aggressiven Blutkrebs, bei dem die blutbildenden Stammzellen aus dem Knochenmark verdrängt werden“, erklärt der seit 1997 niedergelassene Spezialist für Erkrankungen des Blutes.“
Teilung. Charakteristisch ist die ungewöhnliche Zunahme von Bindegewebsfasern in der ,Kinderstube’ des Blutes: die sogenannte Fibrose behindert im Knochenmark die Stammzellen bei der Teilung. Je nachdem welche Zell-Linie betroffen ist, kann so die Neubildung von weißen und roten Blutkörperchen sowie der Blutplättchen reduziert oder verstärkt werden.
Schwierig. Die einzige potentiell heilende Behandlung ist die Übertragung fremder Stammzellen. Die so genannte allogene Stammzelltransplantation ist allerdings mit einem hohen Risiko behaftet. Jeder fünfte Patient stirbt daran. Das Fünf-Jahres-Überleben liegt bei 50 Prozent. Zudem kehrt in zwei von drei Fällen die Myelofibrose früher oder später zurück – für Evi Klopfer ist das keine Option.
Einfach. Trotzdem kann Doktor Brudler seiner Patientin Hilfe anbieten: Nur kurz zuvor war eine neue Substanzklasse der JAK-Inhibitoren zugelassen worden. „Damit steht uns erstmals eine zielgerichtete Therapie zur Behandlung der Beschwerden wie Milzvergrößerung und anderer MF-Symptome einfach per Tablette zur Verfügung“, sagt Dr. Brudler.
Wirkung. Der Trick der innovativen zielgerichteten Therapie ist, dass auf den überaktiven Zellen medikamentös ein spezieller Botenstoffweg geschlossen wird, über den die kleinsten Bausteine des menschlichen Körpers ihre Steuerbefehle erhalten. Die Folge ist eine geringere Aktivität der Zellen und eine geringere Ausschüttung an Entzündungs-Botenstoffen, die zu den Beschwerden führen.
Entscheidung. „Die nächsten sechs Monate wartete ich noch mal ab – in dieser Zeit reifte das Eingeständnis, dass ich mir diesmal bei meiner Krankheit helfen lassen muss. Im Herbst 2013 stellte mir Doktor Brudler ein entsprechende Rezept aus, mit dem ich mir in der Apotheke die neuen Tabletten holen konnte, die ich fortan einfach morgens und abends vor dem Essen nehme.
Wirkung. Da die Blutwerte von Evi Klopfer bereits im Keller sind, bekommt sie zusätzlich noch zwei Blutkonserven. „Damit kam ich relativ rasch wieder auf die Beine. Das Tolle: als nach sechs Wochen die Wirkung der Blutspende nachlies, ging es mir weiterhin gut. Die Tabletten schlugen an,“ erzählt sie. „Nach einem viertel Jahr registierte ich, dass auch die Bauchbeschwerden langsam, aber sicher weniger wurden. Meine Milz wurde spürbar kleiner.“
Stabilität. Seitdem ist der Zustand von Evi Klöpfer stabil. „In meiner Vorstellung, bekomme ich den Stoff, den der liebe Gott bei meiner Schöpfung leider vergessen hat. So fühlt es sich an, weil ich auch überhaupt keine Nebenwirkungen habe. Neulich durfte ich die Tabletten mal vierzehn Tage nicht nehmen – und da habe ich überhaupt keinen Unterschied gespürt.“
Prognose. Auch Dokter Brudler ist sehr zufrieden. „Tatsächlich lindert der neue JAK-Inhibitor nicht nur die Beschwerden. Neue Studien zeigen, dass eine rechtzieitg Therapie sogar das Leben der Patienten verlängern und das Fortschreiten der Erkrankung aufhalten kann.“
Vier Fragen an Dr. Olaf Brudler, niedergelassener Hämatologe und Onkologe aus Augsburg
Woran erkennen Sie einen typischen Myelofibrose-Patienten?Den typischen MF-Patienten gibt es leider nicht. Neben der auffälligen Bindegewebsvermehrung im Knochenmark gibt es zum Beispiel auch eine nichtfibrotische Myelofibrose, die trotzdem mit exzessiver Müdigkeit, einer leichten Anämie oder Milzvergrößerung einhergeht. Oder die Myelofibrose tritt in Folge einer anderen Erkrankung des so genannten Philadelphia-Chromosom negativen Zweiges der Myeloproliferativen Neoplasien – kurz MPN – auf, wie der Polycythaemia vera, der Essentiellen Thrombozythämie oder einer Mischform.
Wann sollte ich zum Arzt? Vor allem bei Symptome wie Nachtschweiß, leichtem Fieber, Knochenschmerzen, Völlegefühl bzw. Appetitlosigkeit, extreme Müdigkeit – wir sagen Fatigue – und Konzentrationsschwäche. Ein Warnsignal ist es stets, wenn mehrere Symptome gleichzeitig auftreten.
Woher rühren die diffusen Beschwerden? Im Rahmen der Myelofibrose wird der Körper mit Entzündungsstoffen – den so genannten Zytokinen – überschwemmt. Dieser Zytokinsturm ist für die Symptom-Vielfalt verantwortlich. Diese Beschwerden sind noch verstärkt, wenn eine vergrößerte Milz dazu kommt; oder das Blutbild eine Anämie aufweist. Anfangs ist das Blutbild oft normal. Später ist eine Abnahme vor allem bei den roten Blutkörperchen (aber auch bei den Blutplättchen, seltener bei den weißen Blutkörperchen) zu beobachten. Endgültige Bestätigung findet der Befund durch eine Knochenmarksprobe bzw. einem molekulargenetischen Nachweis der JAK2-Mutation.
Was sind die Ziele der Therapie? Die richten sich vor allem nach den vier Risikogruppen: Unreife Blutzellen, Beschwerden, vermehrt weiße Blutkörperchen, Alter über 65 liefern jeweils einen Risikopunkt. Blutarmut zwei. Wer keinen Punkt hat, hat ein niedriges Risiko und sollte nur beobachtet werden. Gleiches gilt für den, der nur einen Punkt hat (Intermediär-1). Ab zwei Risikofaktoren (Intermediär-2) oder drei Punkten (Hochrisiko) sollte behandelt werden – entweder medikamentös oder im Rahmen einer allogenen Stammzelltransplantation.
Wunderwerk Blut
Etwa acht Prozent des Körpergewichts entfallen aufs Blut – also fünf bis sechs Liter beim Erwachsenen. Jeder Liter enthält Milliarden fester Teilchen – die Blutzellen, die im Knochenmark gebildet werden.
Tag für Tag entstehen hier circa 150 Milliarden weiße und 200 Milliarden rote Blutzellen durch Teilung der sogenannten Stammzellen. Die Blutplättchen sind farblose Bruchstücke von Knochenmarkszellen. Sie sind am kleinsten.
Rote Blutkörperchen (Erythrozyten) sehen aus wie Scheiben mit einer Delle in der Mitte. Dadurch sind sie besonders biegsam, können bis ins feinstes der insgesamt 90000 Kilometer langen Blutgefäße Sauerstoff bringen.
Ihr Trick: Sie bestehen vor allem aus dem Blutfarbstoff Hämoglobin. Wie mit einem Minimagneten transportieren sie die Sauerstoffmoleküle aus der Lunge. Im Durchschnitt werden sie 120 Tage alt.
Die weißen Blutkörperchen – Leukozytgen – enthalten keinen Blutfarbstoff Sie arbeiten als körpereigene Eingreiftruppen. Bei Alarm, weil sich z.B. Bakterien im Körper befinden, schlüpfen sie durch die Wand der Blutgefäße ins angegriffene Gewebe; bekämpfen dort mit Zellgiften die Eindringlinge und fressen sie auf.
Fehlen noch die Blutplättchen (Thrombozyten): sie versuchen bei einer Verletzung sofort die undichte Stelle zu blockieren, setzen u.a. den körpereigenen Botenstoff Serotonin ein, damit sich die Wundränder zusammenziehen; bauen aus Blutplättchen, roten Blutkörperchen und Fibrinfäden ein richtiges Netz auf, um dass Leck dauerhaft abzudichten.
Kontakt: Hämatologisch-onkologische Praxis Augsburg, Dr. med. Olaf Brudler, Halderstraße 29, 86150 Augsburg, Tel.: 0821-34465-0, Internet: www.hop-augsburg.de
Weitere Infos Myelofibrose: http://www.leben-mit-mf.de
Wichtig: bei der vorgestellten Patienten-Reportage handelt es sich um einen Einzelfall. Der individuelle Behandlungsbericht erhebt nicht Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Bitte beachten Sie, dass meine Artikel in keinem Fall eine Beratung durch den Arzt oder Apotheker ersetzen. Dieser Blog dient allein der medizinjournalistischen Information