Lebendig. Fernab der Stadt ist für Gisela Mayer immer ein bisschen Urlaub. Ohne das hektische Gewusel in den Straßen, den Krach des Verkehrs und den ganzen Dreck und Müll, den das Leben zwischen Neuwittelsbach und Maxvorstadt mit sich bringt. Kein Wunder, dass die Bayerin ihren kleinen Schrebergarten wie ein Schmuckkästchen hegt. Hier, gut zehn Autominuten von der Wohnung entfernt, singen die Vögel, summen die Bienen, blühen die Blumen – selbst wenn die Arbeit im Garten manchmal anstrengend für die 60jährige ist.
Glücklich. „Das ist mein Fitness-Programm“, strahlt die taffe Frau. „Hier hole ich mir die Kraft zurück, damit ich so lang wie möglich mit meinen Enkelkindern mithalten kann. Und das ist keine Floskel: wenn ich nicht so viel Glück gehabt hätte, hätte mich schon vor zehn Jahren der Schlag treffen können.“
Abgelegen. Die ersten Symptome waren scheinbar harmlose Sehstörungen. Begleitet von Kopfschmerzen und Gefühlsstörungen am Mund. Nichts, was Gisela Mayer wirklich Angst eingejagt hätte – zumal die Beschwerden nach einer halben Stunde verschwunden waren. „Es war eher Zeitpunkt und Ort, die mir Sorgen bereiteten“, erinnert sie sich. „Es geschah während des Urlaubs in Finnland: das pitoreske Ferienhaus lag einerseits im Wald und wunderschön am See, andererseits auch eine gute Stunde vom nächsten Arzt entfernt.“
Umsichtig. Um das Glück nicht herauszufordern, brach Gisela Mayer den Urlaub drei Tage früher als geplant ab, reiste per Flugzeug nach München zurück und ging gleich am nächsten Tag in „ihr“ Krankenhaus München-West. Als Verwaltungsangestellte war sie hier viele Jahr für die Patienten-Abrechnung zuständig gewesen. Jetzt war sie selbst Patientin. Und der Zufall wollte es, dass Gefäßchirurg Dr. Reza Ghotbi bei ihr vorbei kam, als sie noch auf die Diagnose wartete.
Mysteriös. „Ich berichtete ihm von den diffusen Beschwerden – und der Experte tippte gleich auf ein Schlägelchen,“ erzählt sie. „Ein Schlägelchen – wir Mediziner nennen es TIA für ,transitorisch ischämische Attacke’ – ist eine vorübergehende neurologische Störung, die einem Schlaganfall gleicht, sich aber wieder vollständig zurückbildet“, erklärte der Gefäßchirurg ihr weiter.
Warnung. Tatsächlich dauert eine TIA von wenige Minuten bis maximal 24 Stunden. Die Beschwerden werden durch eine Durchblutungsstörung im Gehirn hervorgerufen. Deshalb werden TIAs als Vorzeichen eines Schlaganfalls gesehen. So ergab eine US-Studie, dass mehr als jeder dritte TIA-Patient innerhalb von sieben Jahren einen Schlaganfall erleidet – die meisten bereits innerhalb des ersten Monats.
Diagnostik. „Doktor Ghotbi machte sich bei mir umgehend auf Spurensuche – und wurde beim Gefäßultraschall der rechten Halsschlagader fündig: „Wie jede andere Arterien kann sich auch das Versorgungsgefäß fürs Gehirn verengen’, erklärte er mir“, so Gisela Mayer.
Turbulenzen. Die Ursachen für die sogenannte Carotis-Stenose sind vielschichtig: Neben Erbanlage können Rauchen, hoher Blutdruck oder zuviel Blutfett dazu führen, daß die gesunden Gefäße ihre Elastizität verlieren. Es kommt zu Turbulenzen im Blutstrom. Fette bleiben an der Gefäßinnenwand kleben und beginnen zu wachsen. Schließlich lagern sich weitere Stoffe wie Kalzium ab. Die sogenannte Plaque wird hart.
Risiko. Eine solche sogenannte Stenose ist doppelt gefährlich: Einerseits kann die Schlagader durch ein kleines Blutgerinnsel ganz verstopfen. Andererseits können sich Teile der Plaque lösen und mit dem Blutstrom in kleinere Arterien geschwemmt werden, die sie dann verschließen.
Schwierigkeit. Da das Gefäß bereits über die Hälfte verschlossen war, riet der Chefarzt seiner Patientin zur Vorsorgeoperation, bei der die verkalkte Halsschlagader wieder „gesäubert“ wird. „Das klingt einfacher, als es ist“, sagt Dr. Ghotbi. „Denn bei Reinigung des Gefäßes dürfen keine Plaque abgehen. Denn die können genau das auslösen, was wir verhindern wollen: einen Schlaganfall!“
Umleitung. Andererseits darf die Unterbindung der Blutzufuhr während des Eingriffs ebenfalls nicht zu einem Sauerstoffmangel im Gehirn führen. Traditionell greifen viele Chriurgen auf einen Shunt, ein Umgehungsgefäß zurück. Das erhöht allerdings wiederum das Schlaganfall-Risiko.
Lösung. Da nur jeder vierte bis fünfte Patienten tatsächlich auf so ein Umgehungsgefäß angewiesen ist, hat sich Doktor Gothbi darauf spezialisiert, den Eingriff bei Bewusstsein der Patienten ohne Vollnarkose zu operieren. „So sehe ich ganz frühzeitig, ob der Patient mit dem Blutmangel zurecht kommt oder nicht. Und in den letzten zehn Jahren haben wir so das Risiko eines schweren, unerwünschten Ereignis auf deutlich unter 95 Prozent senken können. Tatsächlich erinnere ich mich an keinen einzigen Schlaganfall in den letzten fünf Jahren – dabei führen wir den Eingriff erheblich öfter als 100 Mal pro Jahr durch!“
Schnitt. Gisela Mayer war anfangs ein bisschen nervös, als sie in den Hybrid-OP geschoben wurde. „Zunächst machen wir einen kleinen, etwa zehn Zentimeter langen Hautschnitt“, erklärte ihr Doktor Ghotbi während der Operation. „Dann präparieren wir sehr vorsichtig die Halsschlagader frei, klemmen das Gefäß oberhalb und unterhalb der Verengung mit Gummibändern ab“.
Zügig. Von nun geht alles routiniert schnell: In Höhe der Schilddrüse wird die Halsschlagader geöffnet. Danach beginnt der Gefäßchirurg die Ablagerungen aus der Gefäßwand zu entfernen. Anschließend wird das Gefäß rasch wieder verschlossen. Dabei hilft ein Flies, dass die Blutgerinnung aktiviert.
Rückfall. Der erste Eingriff war ein voller Erfolg. Ein halbes Jahr danach nahm ich noch Blutverdünner und Blutfettsenker. Dann konnte ich wieder ein ganz normales Leben fühlen“, erzählt die Münchnerin zufrieden. „Anfang 2018 der Dämpfer: bei einer Routine-Kontrolle der Halsschlagadern stellte sich heraus, dass nur links vorne das Gefäß dicht war. Aufgrund der guten Erfahrung mit Herrn Doktor Ghotbi meldete ich mich umgehend zum nächsten Eingriff an.“
Erfolg. Auch diesmal wurde die OP bei Giesela Mayer in örtlicher Betäubung durchgeführt. „Nach zwei Tagen durfte ich wieder nach Hause“, strahlt sie. „Als später die Schlagader per Ultraschall kontrolliert wurde, war der Arzt sehr zufrieden. Er erklärte mir, daß die Gefahr eines Schlaganfall dank der Operation gebannt sei“.
Vier Fragen an den Experten Dr. Reza Ghotbi (55)
Wie gefährlich ist ein Schlaganfall? Nahezu 270000 Bundesbürgererleiden pro Jahr die lebensgefährliche Krankheit, die nach Krebs- und Herzerkrankungen die dritthäufigste Todesursache hierzulande ist. Experten der Weltgesundheitsorganisation sprechen bereits von der „Epidemie des 21. Jahrhunderts“.
Was passiert beim Schlaganfall? Der plötzliche Funktionsausfallwird durch Sauerstoffmangel im Gehirn ausgelöst – immerhin verbraucht der biologische Super-Computer etwa ein Fünftel des Biotreibstoffs. Ursache ist in vier von fünf Fällen das Verstopfen einer Ader durch ein Gerinnsel. Beim restlichen Fünftel ist eine Blutung durchs Zerreißen eines Gefäßes schuld.
Wieso können Sie für den Eingriff eine Halsschlagader komplett unterbrechen?Insgesamt hat der Mensch vier Schlagadern zum Gehirn, zwei für die rechte und zwei für die linke Hirnhälfte. Da die Verengung ein schleichender Prozess ist, haben sich bei vielen Menschen zum Ausgleich so genannte Kollateralen gebildet. Das sind quasi natürliche Umgehungskreisläufe, so dass die Menschen in Ruhe es durchaus für kurze Zeit tolerieren, wenn ich ein Gefäß pro Hirnhäfte schließe.
Woran erkennen Sie während der OP einen Sauerstoff-Mangel? Die Patienten reagieren deutlich verzögert auf die direkte Ansprache, sind desorierentiert oder reden undeutlich. Das ist dann kein Problem: Wir legen dann einen künstlichen Röhrchen um den Gefäßverschluss herum, so dass das Gehirn wieder genügend Sauerstoff bekommt. Da so ein Eingriff allerdings aufwändiger und risikoreicher ist, sind wir froh, wenn wir in 80 Prozent der Fälle darauf verzichten können.
Selbsthilfe-Kasten
Verkalkung der Arterien, Gefäßmissbildungen oder Herzfehler können zum Hirn-GAU führen. Zumindest gegen das erste können Sie etwas machen:
Lebensstil-Änderung: Falsche Ernährung, aber auch Rauchen, sowie Bewegungsmangel sind die Top-Feinde unseres Gehirns. Denn die Folgen sind Bluthochdruck, Diabetes und Übergewicht. Und das sind allesamt Faktoren, die das Risiko eines Schlaganfalls entscheidend erhöhen. Eine Studie hat nun gezeigt, dass allein Abnehmen ausreicht, um die Hauptrisiken für einen Schlaganfall zu senken.
Wachsam bleiben: Jeder dritte Schlaganfall kündigt sich Stunden, Tage oder auch Wochen vorher an. Bei plötzlichen Sehstörungen auf einem Auge, Sehen von Doppelbildern, einer vorübergehenden halbseitigen Muskelschwäche oder Gefühlsstörungen in Armen oder Beinen, kurzen Sprachstörungen, Drehschwindel, Gangunsicherheit oder erstmalig und plötzlich auftretenden, rasenden Kopfschmerzen sollten Sie umgehend zum Arzt oder den Notarzt rufen
Keine Zeit verlieren: Je schneller Sie in der Klinik sind, umso besser kann Ihnen geholfen werden. Am besten sind so genannte Stroke (=Schlaganfall) Units (=Abteilungen) auf die sofortige Diagnose (per CT sowie Ultraschall) und die Behandlung eingerichtet. Zum Einsatz kommt dabei die Thrombolyse. Dazu wird ein Medikament in die Vene gespritzt, das das Gerinnsel auflösen soll.
Lassen Sie sich helfen: Wenn Sie unter Bewegungsmangel und Übergewicht leiden, sollten Sie beim Arzt zumindest die Risikofaktoren „Bluthochdruck“ und „Cholesterin“ regelmäßig kontrollieren lassen. Auch, wenn es in Ihrer Familie bereits Fälle von Schlaganfällen gab, sollten Sie zum Vorsorgecheck!
Der Arzt: Gefäß-Spezialist
Dr. Reza Ghotbi (55) ist Gefäßchirug und Spezialist für Endovaskuläre Erkrankungen. Er leitet seit 2003 die Gefäßchirurgische Klinik des HELIOS Klinik München West mit 60 Betten.
Mehr Infos:
HELIOS Klinikum München West, Gefäßchirurgische Klinik, Steinerweg 5, 81241 München, Tel. 089/8892-2628, Internet: http://www.helios-kliniken/muenchen-west