Dank eines Mini-Eingriffs schlägt mein Herz wieder volle Kraft voraus

Behandlungserfolg_UlrikeMartz5Wie ernst es um sie an dem schicksalshaften zweiten April letzten Jahres bestellt war, davon hatte Ulrike Martz nicht den Hauch einer Ahnung. Bereits den ganzen Tag über war es der heute 47-jährigen Leipzigerin nicht gutgegangen. So war sie froh, sich am Ende des Tages einfach vor den Fernseher setzen zu können, um sich vom Tagwerk zu erholen. Doch besser wurde es nicht.

Getrübt „Statt dessen fiel mir zum ersten Mal auf, dass mein Blick irgendwie getrübt war, dass ich rechts oben nicht richtig sehen konnte“, erinnert sich die Fachlehrerin für Mathematik und Physik. „Entnervt gab ich irgendwann auf, sagte meinem Sohn gute Nacht und ging zu Bett – in der Hoffnung, dass am nächsten Tag die Welt wieder in Ordnung ist.“

Tapfer Doch der Donnerstag begann, wie der Mittwoch geendet hatte. Ulrike Martz fühlte sich kraftlos und kurzatmig. Und die Einschränkung beim Sehen bereitete ihr weiterhin Schwierigkeiten. Trotzdem schleppte sie sich für zwei Stunden Unterricht in ihre Schule. Erst dann meldete sie sich ab und ging zum Hausarzt.

Verstopft „Der Allgemeinmediziner konnte nichts finden, schickte mich zur Sicherheit an den Augenarzt,“ berichtet die schlanke, blonde Frau, die eigentlich immer ganz gesund gelebt hatte. „Dort kam man zumindest der Einschränkung des Gesichtsfelds auf die Spur: ein Gefäß am Augenhintergrund war verstopft. Das führte dazu, dass die Sehzellen in einem bestimmten Bereich nicht funktionierten.“

Arztgespraech_UltraschallHilflos Außer Ruhe zu verordnen, könne er nicht viel machen, meinte der Experte ein wenig hilflos. Doch man müsse schauen, wodurch die Verstopfung ausgelöst worden sei. So kehrte Ulrike Martz mit einer Überweisung zum Kardiologen nach Hause zurück.

Ausgefranst Die Ultraschall-Untersuchung an der Leipziger Universitätsklinik deckte dann das ganze Ausmaß der Grunderkrankung auf: Die Mitralklappe, die zwischen linker Herzkammer und linkem Vorhof sitzt (siehe Kasten Klappen-Funktion), hing total ausgefranst zwischen den beiden Hohlräumen und schloss nicht mehr richtig.

Reduziert „Kein Wunder, dass ich mich so schwach fühle, meinte mein Arzt“, sagt Ulrike Martz. „Der Defekt auf der kräftigeren Herzseite, die dafür sorgt, dass frisches Blut aus den Lungen in den großen Körperkreislauf gepumpt wird, hatte meine Versorgung mit Sauerstoff reduziert.“

Arztgespraech_Demoeingriff3Spezialisiert Bis vor wenigen Jahren hätte ein solcher Befund dazu geführt, dass man der schwerkranken Frau geraten hätte, die Herzklappe operativ durch eine künstliche Klappe austauschen zu lassen. Doch der Leipziger Arzt hatte eine andere Idee: Er überwies seine Patientin an die Universitätsklinik Jena. Dort hat man sich vor wenigen Jahren auf die Reparatur aller Bioventile des Herzens spezialisiert.

Innovativ In seiner Sprechstunde erklärte ihr Klinikdirektor Professor Torsten Doenst: „Besser als jeder noch so innovative Ersatz ist die Instandsetzung des körpereigenen Gewebes. Gelingt es uns, die Funktion wieder herzustellen, können Sie fast immer von einer ganz normalen Lebenserwartung ausgehen.“

Experte_NadelhalterMinimal-invasiv Ein weiterer Fortschritt in der Jenaer Herzchirurgie ist, dass der Eingriff routinemäßig minimal-invasiv über einen seitlichen Zugang des Brustkorbs durchgeführt wird. „Egal welche Herzklappe betroffen ist, können wir inzwischen unseren Patienten die klassische Sternotomie – also das Durchtrennen des Brustbeins – ersparen“, erläutert der mit über 500 Mitralklappen-Rekonstruktionen sehr erfahrene Herzchirurg. „Durch den kleinen Zugang bleibt nur eine vier bis fünf Zentimeter Narbe zurück, die bei Frauen meist komplett in der Brustumschlagsfalte verschwindet.“

Bewusst Erleichtert stimmte Ulrike Martz dem Eingriff zu. „Bis zu diesem Gespräch war mir nicht bewusst, wie schlimm es um mich stand“, sagt sie. „Jetzt wollte ich alles tun, um auch weiterhin für meinen zwölfjährigen Sohn da zu sein und ihn aufwachsen zu sehen. Am zweiten Juni hatte ich den OP-Termin.“

Mittig Der Eingriff in der Uniklinik Jena erfolgt in Vollnarkose. Nachdem die Herz-Lungenmaschine über Spezialkatheter von der Leiste an den Blutkreislauf angeschlossen ist und die Sauerstoffversorgung übernimmt, kann die Anästhesie die Beatmung einstellen. Dadurch fällt die Lunge zusammen. Der Operateur bekommt über einen kleinen Spalt im rechten Brustkorb Zugang direkt bis zum Herz, das de facto fast mittig hinterm Brustbein liegt.

Klappen-Op_Nadelhalter6Individuell „Je nachdem, ob die Herzklappe verengt oder verkalkt ist, nicht mehr richtig geführt wird oder schließt, stehen uns inzwischen zahlreiche Techniken zur Verfügung“, erklärt Prof. Doenst, der die Kunst der Klappen-Reparatur an renomierten internationalen Zentren erlernte. „Im vorliegenden Fall, wenn eine Herzklappe ihre Form und Spannung verloren hat, unterstützt uns die Ring-Anuloplastik.“

Überwuchert Dazu näht der Herzchirurg mit feinen Stichen ein ringähnliches Implantat um die Klappenöffnung herum an, das so das Ventil wieder neuen Halt erhält und richtig schließt. „Das Gewebe ist aus Dacron und wird vom Körper nicht abgestoßen“, erläutert der Arzt. „Im Gegenteil: Im Laufe von Monaten wird der Ring von körpereigenen Zellen überwuchert und ist vom eigenen Gewebe nicht mehr zu unterscheiden.“

Training_Walking6Wackelig Der Eingriff bei Ulrike Martz dauerte gut zweieinhalb Stunden. Dann kam sie auf die Intensiv-Station. „An die Visite am nächsten Tag erinnere ich mich heute kaum noch“, blickt sie zurück. „Aber immerhin ging es mir so gut, dass ich am Freitag auf die Überwachungsstation kam und das erste Mal wackelig aufstehen konnte.“

Perfekt Nach gut einer Woche war dann die Entlassung aus der Klinik in die Reha – von da an ging es nur noch bergauf. „Nach den Sommerferien konnte ich meine ersten Stunden geben, seit den Herbstferien 2014 arbeite ich wieder normal“, strahlt sie begeistert. „Von der Narbe sieht man kaum etwas. Und der letzte Herzultraschall ergab, dass meine Herzklappe perfekt schließt. Jetzt gehe ich wieder mit voller Kraft voraus ins Leben.“

Fünf Fragen an Professor Torsten Doenst (46), Universitätsklinik Jena

Experte_ProfTorstenDoenst3Was sind die Risiken für einen Herzklappendefekt?

Jahr für Jahr schleusen unsere Herzklappen unglaubliche 2,5 Millionen Liter Blut durchs Herz. Kein Wunder also, dass sich mit den Jahren die Bioventile abnutzen und verkalken können. Dazu kommen die Risikofaktoren angeborener Herzfehler, Gewebeschwäche, Herzinfarkt, rheumatisches Fieber oder eine Infektion mit Streptokokken. All das kann dazu führen, dass das Gewebe erschlafft und die Klappen nicht mehr korrekt schließen. Umgekehrt führt Verkalkung dazu, dass die Passage zu eng wird und sich die Bio-Ventile nicht richtig bewegen können.

Woran erkenne ich eine Schwäche der Herzklappe?

Die Folge der Klappeninsuffizienz ist eine sinkende Herzleistung. Anfangs tritt vor allem unter Belastung Atemnot auf. Später drohen Beinschwellungen, Ohnmacht oder sogar Herzversagen.

Muss immer gleich operiert werden?

In der Regel müssen Klappenfehler nicht sofort behandelt werden. Wenn die Betroffenen aber unter der mangelnden Belastbarkeit leiden oder die Symptome auch in Ruhe auftreten, sollte die Klappe ersetzt oder – besser – repariert werden.

Klappen-Op_OP-PlanungWie erfolgreich ist der Eingriff?

Die Erfolgsraten des konventionellen Klappenersatzes sind sehr gut. Für besonders kranke Patienten sind die neuen kathetergestützten Therapien gleich gut. Für die meisten Patienten bleibt aber der konventionelle Ersatz der Goldstandard. Deutlich besser sind die Zahlen, wenn wir reparieren können.

Was ist das Besondere an dieser Technik?

Inzwischen sind wir hier in Jena in der Lage, alle Herzklappen minimal-invasiv reparieren zu können – das bedeutet, ohne dass dafür das Brustbein durchtrennt werden muss. Weltweit gibt es nur wenige Zentren, die das so durchführen. In Deutschland ist das bisher neu, aber die Nachfrage ist groß. Natürlich muss für jeden Patienten individuell entschieden werden, ob das Verfahren zum Einsatz kommt.

Modell_Herz2Selbsthilfe – So schützen Sie Ihr Herz vor dem Verkalken

Die meisten Herzklappenfehler erwirbt man sich im Laufe seines Lebens. Dennoch spielt auch eine gewisse, genetische Veranlagung eine Rolle. Generell gilt: alles was dem Herz gut tut, trägt auch dazu bei, dass seine Ventile so lange wie möglich für uns arbeiten:

Cholesterin senken Erhöhte Blutfettwerte sind einer der Hauptgründe für Kalkablagerungen in den Herzgefäßen. Schränken Sie den Konsum von fettem Fleisch ein. Hühnchen, Pute, Rind und Wild sind magerer als Schwein und Gans. Verwenden Sie zum Braten pflanzliche Öle statt gehärtete Fette. Letztendlich wird auch für die Cholesterin senkenden Medikamenten (Statine) eine klappenschützende Wirkung beschrieben.

Klappen-Op_ValvuloplastikKlappen-Funktion

Wie die Ventile im Motor unseres Autos lenken die Klappen im Herz den Biobrennstoff Blut (mit lebenswichtigen Sauerstoff und weiteren Nährstoffen) in die richtige Richtung. Und zwar mit jedem Herzschlag – also rund 35 bis 40 Millionen Mal pro Jahr. Insgesamt gibt es zwei Segel- und zwei Taschenklappen: Die Trikuspidalklappe zwischen rechter Kammer und rechtem Vorhof; die Mitralklappe zwischen linker Kammer und linkem Vorhof. Die Aortenklappe zwischen linker Kammer und Aorta; sowie die Pulmonalklappe zwischen Lungenschlagader und rechten Kammer. Mit jedem Schlag des Herzmuskels öffnen und schließen sich die Ventile. So wird sauerstoffarmes Blut von der rechten Herzhälfte aufgenommen und in die Lunge abtransportiert und das aufgefrischte Blut aus der Lunge über die linke Herzseite und Aorta in den Körper zurückgepumpt

Klinikkontakt:

Universitaetsklinik_JenaProfessor Dr. Torsten Doenst, Klinik für Herz- und Thoraxchirurgie, Universitätsklinikum Jena, Erlanger Allee 101, 07747 Jena, Tel.: 03641/932-2901

Internet: www.htchirurgie.uniklinikum-jena.de

Hinweis: bei der vorgestellten Patienten-Reportage handelt es sich um einen Einzelfall. Der individuelle Behandlungsbericht erhebt nicht Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Bitte beachten Sie, dass meine Artikel in keinem Fall den Besuch beim Arzt ersetzen. Dieser Blog dient allein der medizinjournalistischen Information.

One thought on “Dank eines Mini-Eingriffs schlägt mein Herz wieder volle Kraft voraus

  1. Ein Mut machender Bericht! Erstaunlich, was mit moderner Technik alles möglich ist.

    Interessant fand ich die Ernährungstipps: dass Schwein zu fettem Fleisch zählt, wusste ich, aber Gans?! Was ist mit Lammfleisch?

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About André Berger

Geboren in Hamburg. 1986-1990 freier Reporter. 1991 Redakteur Heinrich Bauer Verlag. Seit 1992 freier Medizinreporter Meine Arzt- & Patienten-Reportagen (Text & Fotos) erscheinen regelmäßig in den großen, wöchentlichen Publikums- und Frauenzeitschriften des Burda-Verlags, der Funke-Gruppe und des Bauer Verlages